Das „Stöttltörl“ liegt auf 2036 Meter Höhe im Mieminger Gebirge, nördlich der 2208 Meter hohen Wankspitze. (Foto: Knut Kuckel)
Das „Stöttltörl“ liegt auf 2036 Meter Höhe im Mieminger Gebirge, nördlich der 2208 Meter hohen Wankspitze. (Foto: Knut Kuckel)

Flüssiges Gold – Spurensuche im Quellgebiet vom Stöttlbach

Im Heumonat Juli möchte ich erkunden, woher das „Flüssige Gold der Alpen“ kommt. Bis dahin verhindern Lawinen und Schneeschmelze die Spurensuche. Der Weg lohnt sich, denn aus den Mieminger Bergen kommt das Wasser, von dem die Menschen im Tal leben.

Überirdisch und unterirdisch stürzt es jetzt im Sommer über den Stöttlbach nach Mieming. Um sich einen Weg zu bahnen, sprengt das Wasser selbst den Fels. Der „Stöttlbach“ hat viele Quellen, die meisten finden sich unterhalb des „Stöttltörls“. Der Stöttlbach findet seinen Weg zum Mieminger Plateau. Unabhängig von den Jahreszeiten.

Im Quellbereich des Stöttlbachs, mit Blick auf das Mieminger Plateau. (Foto: Knut Kuckel)

Das „Stöttltörl“ liegt auf 2036 Meter Höhe am Miemingerberg. Nördlich der „Wankspitze“ (2208 Meter über Seehöhe) und der nur für Kletterer zugänglichen „Griesspitze“ (ca. 2747 Meter hoch). Höher ist hier nur noch der „Hochplattig“ mit stolzen 2768 Metern.

Wanderung zum Stöttltörl. (Foto: Knut Kuckel)

Die Geschichte zu schreiben, war ein spontaner Entschluss von mir, wie so oft. „Spontan“ ist dabei noch reichlich übertrieben. Es ist ca. 7-Uhr-30 am Morgen. Meine Hausarbeit erledigt. Heute wollte ich mir einen entspannten Tag gönnen. Die Richtung heißt Berg. Mal schauen, wo unser Trinkwasser herkommt.

Von Blüte zu Blüte – den Schmetterlingen folgend. (Foto: Knut Kuckel)

Ich wollte im Quellgebiet des Stöttlbachs dort weiter machen, wo ich im Frühling aufhören musste. Einfach so und bis dahin, auch ohne Plan. Dem Wasser nach. Ich schieße die ersten Fotos in „Mikro“ und „Makro“, folge den Schmetterlingen, auf ihrem Weg von Blüte zu Blüte. Die Luft riecht wie ein Bergkräuter-Garten und es ist warm. 

Ich habe große Lust weiter zu gehen. Über „Stock und Stein“. Von Motiv zu Motiv und dabei den herrlichen Tag genießend. Was die Zeit angeht, vollkommen „entschleunigt“. Ohne jeden Druck. In Höhe der „Stöttlalm“, dort, wo für die meisten das „alpine Abenteuer“ ein vorzeitiges Ende findet, beschließen meine Füße ihren Weg fortzusetzen. Mal links, mal rechts des Stöttlbachs.

Rasch komme ich weiter und nur wenn es gar nicht anders geht, suche ich mir einen Pfad, oberhalb des Stöttlbachs. Hier schaut man hinab. Auf den Wildbach und wie er sich seinen steinigen Weg da unten sucht. 

Maria-Marterl an der Boasligbrücke. (Foto: Knut Kuckel)

In Höhe der Boasligbrücke werde ich mich bei der Mutter Gottes dafür bedanken, dass ich nach einem Sturz wieder schnell auf die Beine kam. Hannes Westreicher (von der Bergrettung Mieming) erzählte mir mal, dass viele Fotografen, auf der Suche nach „dem“ Motiv in vergleichbaren Situationen abstürzen. Hier und da lasse ich mich auf einem Stein nieder, schaue auf das Wasser und erinnere mich an die Worte vom Hannes.

Auf dem Stein-Mandl-Weg. (Foto: Knut Kuckel)

Ich lebe schon ein paar Jahre in der unmittelbaren Nachbarschaft vom „Stöttlbach“, den die Dasigen früher „Stettlbach“ nannten. Nachts, wenn alles ruhig ist, höre ich ihn manchmal sehr intensiv. So gewaltig klingts vom Stöttlbach nur, wenn in den Mieminger Bergen Schneefelder schmelzen. Dann, wenn die Bauern ihr erstes Heu einfahren.

Quellbereich am Stöttltörl. (Foto: Knut Kuckel)

Karl Miller-Aichholz schrieb 1985 in seinem Buch „Mieming – die Gemeinde am Miemingerberg, dass er es merkwürdig findet, dass Stöttel- und Judenbach, die Trinkwasser spendenden Bäche, erst im 18. Jahrhundert in Aufzeichnungen erwähnt werden.

In Homanns Landkarte von 1720 erscheint ebenfalls erstmals der „Stettlbach“, so auch auf einer Landkarte von Peter Anich aus dem 18. Jahrhundert. Das Hauptwerk Peter Anichs (* 22. Februar 1723 in Oberperfuss, Tirol; † 1. September 1766 in Oberperfuss, Tirol), der „Atlas Tyrolensis„, zählt auf Grund seines Maßstabs, seiner Präzision und der Größe des dargestellten Gebiets zu den international bedeutendsten kartografischen Leistungen des 18. Jahrhunderts.

Der Mieminger Ferner sieht aus wie ein Fisch. (Foto: Knut Kuckel)

Die berühmteste Schneefeld-Kulisse sieht vom Mieminger Plateau aus, wie ein Walfisch. Der “Fisch” ist der „Mieminger Ferner“, ein Gletscher.  Warum der markante „Fisch“ trotz seiner geringen Seehöhe von ca. 2500 Meter auch noch im Sommer zu sehen ist und nicht schmilzt, scheint das Geheimnis des „Mieminger Ferners“ zu sein.

Zwischen drei und fünf Hektar misst die Fläche des kleinen Gletschers. Man vermutet, dass er an seiner kräftigsten Stelle ca. 20 Meter dick ist.

Glaziologen bezeichnen zum Unwillen der Menschen am Mieminger Plateau den Mieminger Ferner als „kleinen Karggletscher“. Das erfahre ich von Ortschronist Martin Schmid in der Dorfzeitung (“Der Fisch – ein vergessener Gletscher”, Mieminger Dorfzeitung, 18. September 2008).

Am Mieminger Ferner im Stöttlquellgebiet. (Foto: Knut Kuckel)

Eine Steilwand im Norden und ein Moränenwall im Süden grenzen den Mieminger Ferner ein und sorgen für sein Aussehen. Statt wie üblich längsseits, bewegt er sich kreisförmig weiter,  mehrere Meter pro Jahr. Obwohl seit über 110 Jahren bekannt, fand der Mieminger Ferner bislang noch keine Aufnahme in das Gletscher-Kataster.

Die Mieminger verstehen die Wissenschaftler in dieser Hinsicht nicht, die sich erst seit 1994 mit der Ausmessung des Gletschers beschäftigten. Für die Menschen am Miemingerberg bleibt der „Fisch“ ein Natur-Phänomen und ist so etwas wie ein heimisches Wahrzeichen. “Zuerst schaue ich nach dem Fisch”, erzählen wir Miemingerinnen und Mieminger, wenn sie nach langen Reisen heimkehren.

Trinkwasserversorgung aus den Stöttlbachquellen für das Mieminger Plateau. (Foto: Knut Kuckel)

So wie der Mieminger Ferner, speisen alle anderen Schneefelder, zwischen Wank und Griesspitzen den Stöttlbach mit ihrem Schmelzwasser. Lawinenabgänge im Frühjahr füttern die Schneefelder.

Das Quellwasser des Stöttbachs und der Judenklamm, versorgen seit Jahrhunderten Mensch und Vieh mit frischem Wasser. Das dies so ist, verdankt man in Mieming den Leistungen der örtlichen Wassergenossenschaft. Seit über 100 Jahren wurden von den Genossenschaftsmitgliedern in Eigenleistung Quellfassungs- und Speicheranlagen gebaut. Alois Larcher von der Wassergenossenschaft sagt, es sei der Weitsichtigkeit seiner Vorgänger zu verdanken, dass man – sowohl aus qualitativer als auch  aus quantitativer Sicht in Mieming noch heute ein sichere Trinkwasserversorgung habe.

Aufzeichnungen aus dem Jahr 1924 belegen, dass sich die Gemeinde finanziell außerstande sah, eine gemeindeweite Wasserversorgung zu gewährleisten. “Die Wasserversorgung erfolgte zur damaligen Zeit durch eine ungefähr fünf Kilometer lange Holzrohrleitung, welche das Wasser aus den ganz primitiv gefassten Quellen entnimmt, die aus den Schutthalden des Hennebergs entspringen“ erzählt Alois Larcher, Obmann der örtlichen Wassergenossenschaft. “Eine Selbstverständlichkeit für die Mieminger Öffentlichkeit.”

Stöttlquellen - Wasserversogung für Mieming. (Foto: Knut Kuckel)

Längst sind heute die Holzrohre durch Stahlrohre ersetzt worden, die 15 öffentliche Brunnen und 17 Hydranten speisen. Alois Larcher: „Bis in die 1950er Jahre wurden all diese Arbeiten mit Pickel und Schaufel, unter teilweise schwierigsten Bedingungen, im oft felsigen Gelände durchgeführt“.

Daran denke ich, beim passieren einiger Stöttlbrückenquellen auf meinem Weg ins Schneefeld-Gebiet. Wie im Mieminger Dorfbuch nachzulesen ist, wurde das Leitungsnetz, seit einer Siedlungserweiterung stetig ausgebaut. Über 25 Kilometer lang, sind die Leitungen heute. Trotz all dieser Arbeiten und vieler naturgegebener Vorteile kam es aufgrund des schnellen Wachstums der Gemeinde Mieming immer wieder zu Versorgungsengpässen. Deshalb muss das Netz stetig erweitert werden.

Neue Hochbehälter und zeitgemäße Transportleitungen gehören heute zur Infrastruktur. Derzeit speisen fünf Quellfassungen, zwei Hochbehälter mit einem Fassungsvermögen von 830 m³.

Alois Larcher sagt, "das Stöttlwasser ist flüssiges Gold". (Foto: Knut Kuckel)

Alois Larcher: „So sehr sich der Mensch technisch auch weiterentwickelt, so sehr er danach trachtet, die Umwelt seinen Bedürfnissen anzupassen – ohne Wasser kann er nicht überleben. Das kühle Nass, das flüssige Gold der Alpen, ist ein unbezahlbarer Schatz, mit dem wir verantwortungsvoll umgehen müssen, damit er auch der Nachwelt erhalten bleibt“.

Für Obermieming, Untermieming und Fiecht ist die Wassergenossenschaft zuständig. Obmann Alois Larcher erklärt: “Das Wasser kommt über zwei Hochbehälter ins Tal, die von sieben Quellen versorgt wird. Das alles spiel sich auf einer Seehöhe über 1200 Meter ab. Aus dem Bereich werden noch 16 öffentliche Dorfbrunnen mit frischem Bergquellwasser versorgt.”

Flüssiges Gold – Spurensuche im Quellgebiet am Stöttltörl. (Fotos: Knut Kuckel)

Ich schreibe über das Landleben im alpinen Raum. Über Ereignisse und Begegnungen. Von Hause aus Rundfunkjournalist, bin ich als Grenzgänger der Regionen auch gerne Europäer.