Rund neun Stunden dauerte der beschwerliche Almabtrieb von der Hochfeldernalm nach Obermieming. Die Ankunft der Hirten mit ihrem Vieh glich einem Triumphzug. Das Vieh wurden geschmückt, weil im Almsommer keines der Tiere zu Schaden kam.
Hunderte Zuschauer beobachteten das Spektakel. Darunter inzwischen zahlreiche Stammgäste. Vom Gesicht her kennt man sich häufig. Man nickt sich grüßend zu. Eben – wie bei einem richtigen Landfeiertag.
Um den Schmuck kümmerten sich die Obermieminger Bäuerinnen. Gefertigt in liebevoller Handarbeit. Ortsbäuerin Barbara Spielmann: „Das gehört dazu, hat Tradition“.
Über 230 Tiere verbrachten den Almsommer heuer auf der Feldereralpe. Die meisten von ihnen durften schon in den vergangenen Tagen zurück auf den Kälberhag, dem Vorberg der Obermieminger Almbauern. Beim Almabtrieb wurden deshalb nur noch 80 Tiere heimgeführt. Bei spätsommerlichen Temperaturen von 21 Grad, Sonne und wolkenlosem Himmel, war das fürs Vieh ziemlich anstrengend. Immer wieder musste unterwegs eine Pause eingelegt werden. Für Notfälle fuhr ein Viehtransporter mit. Der wurde auch gebraucht.
Auf der niederen Alm werden ab Mitte Juni die Rinder auf das Abenteuer Hochalm vorbereitet. Hier dürfen sie noch bei guter Wetterlage bis Mitte Oktober die heimischen Weidegründe genießen. Dann gehts zurück in die Winterställe. Bis zum nächsten Frühjahr.
Am Vorabend wurde das Almvieh zur Sammelstelle unterhalb der alten Feldernalm gebracht. Man hatte den Eindruck, das Vieh wollte es nur noch hinter sich bringen. Drei Monate Hochalm bedeutet für die Tiere zwar, in weitgehender Freiheit zu leben, setzt sie allerdings auch vielen Gefahren aus. Dieser Almsommer war in dieser Hinsicht ein Erfolg.
Es folgten 35 Kilometer Fußweg. Das ist nichts für Leichtgewichte. Mühsam für alle, die sich auf den Weg machten. Von den Almen, übers Gebirge, ins Tal.
Auf der für Mensch und Vieh kräftezehrenden Tour mussten talwärts rund 800 Höhenmetern überwunden werden. Bergwanderer schaffen das locker in knappen drei bis vier Stunden, die schwergewichtigen Huftiere brauchen dafür etwas länger. Was die Ausdauer angeht, sind sie aber den meisten Zweibeinern im Gebirge weit überlegen.
Andreas Schneider und Stefan Kapeller waren heuer die „Dienstältesten“ im Kreise der Helferinnen und Helfer, die den langen Weg von der Feldernalm bis Obermieming gegangen sind. Bei ihrer Ankunft in Affenhausen begrüßte sie u.a. der 80jährige Otto Rappold. „Seitdem ich laufen konnte, war ich dabei,“ erzählt er uns. „30 Jahre lang, ohne Unterbrechung.“ Aus dieser Zeit ist heute niemand mehr mit dabei.
Die älteste Zeitzeugin, neben dem Rappold Otto, war die 96jährige Anna Scharmer. Sie schenkte den neuen Almleuten der Hochfeldern Alm ein gerahmtes Bild. Das hängt heute an einem prominenten Platz.
Annas Familie gehört die Weide hinter dem Hotel Traube, wo das Almvieh vor dem Erreichen am Zielort in Obermieming noch einmal ruhen darf und versorgt wird.
Anna Scharmer siedelt zum 1. Oktober auf eigenen Wunsch um ins Altenwohnheim im Sozialzentrum. Dort wollen wir uns Mitte Oktober einmal treffen, um uns ihre Geschichten – rund um die alte Feldereralpe erzählen zu lassen.
Franz Kapeller versorgte in der Zwischenzeit das durstige Vieh mit frischem Wasser aus den Quellen der Mieminger Berge und half mit beim „aufprostern“ – dem Schmücken der Tiere. Das Hirtenteam wurde von Service-Frau Silvia Schneider mit frischen Getränken und einem stärkenden Imbiss versorgt. Für Silvia war das auch ein besonderer Tag, weil sie ihren Geburtstag feierte. Den Kreis ihrer Gäste hätte niemand besser aussuchen können.
Der Almabtrieb von der Feldereralpe nach Obermieming findet auch heute noch, wie vor Jahrzehnten statt. Alles ist noch ursprünglich und wird von der Almbauernschaft organisiert. Touristiker sind nicht aktiv beteiligt, kommen aber vorbei, wie Franz-Josef Pirktl, der Juniorchef vom benachbarten Hotel Schwarz. „Wir freuen uns, dass das in Mieming noch so ist und so soll es auch aus Sicht des Tourismusverbandes bleiben.“ Franz-Josef Pirktl ist im Bauernland aufgewachsen. Kennt die Mentalität seiner Nachbarn, die auch sein Hotel beliefern.
„Das macht wohl das Besondere aus und so soll es auch noch künftig sein“, kommentiert Martin Kapeller. Der Vizebürgermeister von Mieming ist für seine Gemeinde Almbeauftragter der Hochfeldern Alm und der Seeben Alm. Auch er schickt Vieh Jahr für Jahr im Sommer auf die Alm.
„Die Almwirtschaft war schon immer das prägende Element unserer alpinen Kulturlandschaften“, erzählt Martin Kapeller. „Die Almweiden sind charakteristisches Merkmal. Vielleicht ja auch, weil sie unterschiedlich genutzt werden.“ Das Vieh spiele eine große Rolle zum Erhalt der Artenvielfalt.
Die Feldernalm im Gaistal ist seit Jahrhunderten die angestammte Almweide der Obermieminger Bauern. In einer Urkunde vom 3. Mai 1340 erteilen die Obermieminger Bauern als Gegenleistung für die Neuerrichtung der St. Gertraudenkirche – das ist die heutige Georgskirche – dem „Closter Stambs“ für 26 Jahre das Recht, „mit ihrem Vieh auf die Alpe zu fahren und diese zu benutzen“. Die neue Feldernalm wurde 1964 in Hochfeldern errichtet.
Der Almbetrieb konnte und kann nur durch hohe Eigenleistung der Almmitglieder aufrechterhalten bleiben.
Viele Generationen von Obermieminger Bauern haben das Ihre dazu beigetragen – und das war nicht immer leicht. Es ist ihr Verdienst, dass die Hochfeldernalm heute noch in jeder Hinsicht vorbildlich bewirtschaftet wird.
Nach der Neueröffnung am 28. August 2016 wurde die Hochfeldernalm noch mehr ein beliebtes Ausflugsziel im Sommer und im Winter.
Das Fest zum Almabtrieb wurde am Bauernhof der Familie Post gefeiert. Um die Bewirtung der Gäste kümmerte sich die Bergrettung Mieming. Getanzt wurde zur Musik der beliebten Formation „Halli Galli“.
Die Hirten der Hochfeldernalm brachten eine geschmückte Kuh mit zum Foto-Termin. Die hatte verständlicherweise kein Vergnügen an der Aktion. Selfies sind halt nicht ihr Ding. Zu viel Menschen, zu viele mobile Telefone. Das kommentierte jemand und brachte die erlebte Realsatire auf den Punkt: „Vor 30 Jahren haben wir noch alle aus öffentlichen Telefonzellen telefoniert. Heute hat jeder seine persönliche Telefonzelle in der Tasche. Das bemerkenswerte daran – mit diesen Geräten kann man Vieles, auch fotografieren.“
Am Abend trafen sich die Hirten zum „Hirtenmahl“ im Gasthof Post. Ein alter Brauch. Für alle eine Gelegenheit, mal wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Geredet wurde über meist, was die Almwirtschaft zurzeit beschäftigt. Auch über das Unglück der benachbarten Mittenwalder Schafbauern in diesem Almsommer. Wir erinnern uns: bei einem Hangrutsch am Predigtstuhl war am 1. Juli ein Teil der Schafherde, die vor kurzem wieder ins Tal gekommen ist, in die Tiefe gerissen worden. So endete der „Schafscheid“ in Mittenwald mit einem traurigen Ergebnis. Fast die Hälfte der Tiere hat das Unglück nicht überlebt.
Die Schafer kennen sich untereinander. Auch beim Almabtrieb in Mieming waren sie dabei. Den Freunden im Werdenfelser Land gilt ihre Anteilnahme, ihr Mitgefühl.
Festgestellt wurde in diesem Zusammenhang auch, dass die Freunde im oberbayerischen Mittenwald ihre Schafe schon zwei Wochen vorher – am 7. September – von den Almen heimführten. Am gleichen Tag war auch ein Almabtrieb mit Almfest in Wallgau im Oberen Isartal. Dann folgten weitere Almabtriebe in der Region Garmisch-Partenkirchen. Für den Tourismus in Oberbayern unverzichtbar. Heißt es.
Unseren Beitrag „Nahaufnahme Almabtrieb“ haben wir mit Bildern dokumentiert, die man als Außenstehender üblicherweise nicht sieht. Das geht nur, wenn alle Kameraleute an einem Strang ziehen. Haben sie an diesem Wochenende, im Zeichen ein es gelungenen Almabtriebs.
In Kooperation mit »Mieming.online« sammelten wir auch für unsere Geschichtensammlung Almenland Miemingerberg bemerkenswert authentische Bilder vom Almabtrieb aus dem Gaistal aufs Mieminger Plateau.
Danke an alle, die uns ihre Fotos für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt haben.
Die Ankunft der Hirten mit ihrem Vieh glich einem Triumphzug. (Fotos: Knut Kuckel)